Blogbeitrag in Allgemein
Warum wollen junge Ärztinnen und Ärzte nicht aufs Land?
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Warum wollen junge Ärztinnen und Ärzte nicht aufs Land?
Seit Jahren haben Ärztinnen und Ärzte auf dem Land große Probleme damit, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. Dieses Problem trifft nicht nur die scheidenden Ärzte, für die die ausbleibende Übernahme oft eine empfindliche Einbuße in der Altersvorsorge bedeutet. Dieses Problem trifft alle Menschen vor Ort. Gemeinden, Landkreise, Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen haben es längst erkannt und versuchen seit Jahren dagegen zu arbeiten. Die Frage ist: Warum wollen junge Ärztinnen und Ärzte nicht aufs Land? Und, stimmt das überhaupt?
Allgemeinmedizin ist unter Medizinstudierenden beliebt
Der landärztliche Hausarzt ist oft Allgemeinmediziner. Allgemeinmediziner sind Fachärzte, die über ein sehr breites, dafür weniger tiefes Wissen verfügen. Die Allgemeinmedizin erzielt im Vergleich mit anderen Facharztgruppen ein eher niedriges Gehalt. Die Stärkung der Allgemeinmedizin wird unter anderem durch die neue Approbationsordnung versucht. Angeblich ist die Allgemeinmedizin ein sehr unbeliebtes Fach.
Beliebtheit der Allgemeinmedizin
39,6 % der Studierenden im Praktischen Jahr (PJ) können sich vorstellen in der Allgemeinmedizin tätig zu werden.
Im Rahmen der dritten Befragungswelle des Berufsmonitorings Medizinstudierende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von 2018 wurden 13.900 Medizinstudierende befragt. Während sich in der Vorklinik nur 32,7 % der Befragten vorstellen konnten, die Weiterbildung Allgemeinmedizin zu absolvieren, waren dies in den klinischen Semestern bereits 36,7 %. Unter den Studierenden im Praktischen Jahr (PJ) sind es sogar 39,6 %.
Warum wollen junge Ärztinnen und Ärzte nicht aufs Land?
Spricht man mit den niedergelassenen Landärzten, ist der Fall klar. Das Landarztleben sei ein Full-Time-Job, schlecht bezahlt und man hat hohe Kosten. Zudem machen zunehmende bürokratische und informationstechnische Hürden einem das Leben schwer während die ärztliche Versorgung in der eigenen Arbeit in den Hintergrund tritt. Dies, gepaart mit der Verweiblichung der Medizin führt – so die Annahme – zu Medizinerinnen, die grundsätzlich lieber 9-to-5 in Anstellung arbeiten. Und aufs Land möchte ja eh keiner.
Während die bürokratischen und informationstechnischen Hürden nicht von der Hand zu weisen sind (siehe unten) und auch die zunehmenden nicht-ärztlichen Verpflichtungen eine Rolle bei der Berufswahl spielen, so spricht dies doch gegen die Niederlassung allgemein, nicht gegen das Dasein als Landarzt. Trotzdem spricht in der Stadt niemand von einem Ärztemangel.
Zwei Annahmen lassen sich entkräften, wenn man sich anschaut, was die Medizinstudierenden wirklich wollen.
- 42,5 % können sich eine selbstständige Tätigkeit als Hausarzt vorstellen, 62,3 % können sich eine angestellte Tätigkeit in einer Praxis vorstellen
- Für 33 % spielt die Größe des Ortes keine Rolle, 48,9 % können sich vorstellen in Orten unter 2.000 Einwohnern zu arbeiten, 56,8 % in Orten zwischen 2.000 und 5.000 Einwohner
Welches sind also wichtige Gründe, warum sich junge Ärzte oft gegen eine Niederlassung auf dem Land entscheiden?
Hohes finanzielles Risiko und hohe betriebswirtschaftliche und regulatorische Hürden
Ein großes Problem ist immer die Frage der Wirtschaftlichkeit einer Praxis. Das deutsche Medizinstudium bereitet nicht auf die Niederlassung vor. Eine Praxis ist nun mal ein kleiner Betrieb und alles, was zur Steuerung nötig ist, muss zusätzlich zur täglichen Arbeit als Arzt erlernt und durchgeführt werden. Zudem muss sich die Unternehmung im Endeffekt auch lohnen. Bei einer Übernahme lässt sich mit Hilfe der Kassenärztlichen Vereinigungen noch gut herausfinden, wie die finanzielle Situation ist und was die Praxis in Zukunft abwirft. Spätestens bei einer Neugründung fehlt vielen Medizinern aber dann das betriebswirtschaftliche Grundverständnis, was für viele Anwärter wiederum eine Anstellung attraktiver macht.
Zudem ist die Suche nach geeigneten Praxen schwierig. Es gibt zwar durchaus Angebote wie Praxisbörsen und Veranstaltungen, trotzdem fehlt es oftmals an grundlegenden Informationen zur Umgebung der Praxis. Denn die eigene Familie muss natürlich ebenfalls zur neuen Wirkungsstätte passen.
Ein/e Befragte/r aus dem Berufsmonitoring Medizinstudierende formuliert es folgendermaßen: „Ich finde es gut, dass man sich Gedanken macht. Ich fände es gut, wenn es die Möglichkeit gebe als Landarzt angestellt zu werden bei einer Kommune im öffentlichen Dienst, sodass man sich um die Bürokratie und das Personal, sowie Anschaffungskosten keine Gedanken machen muss.“
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Wunsch nach Flexibilität und einer Anstellung
Darauf aufbauend haben Medizinstudierende klare Vorstellungen, was sie von ihrer Zukunft als Arzt oder Ärztin und den Arbeitsbedingungen erwarten. Ganz oben steht dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Vereinbarkeit Familie und Beruf
94,6 % der Medizinstudierenden ist es wichtig, Familie und Beruf vereinbaren zu können
Ein/e Befragte/r aus dem Berufsmonitoring Medizinstudierende formuliert es folgendermaßen: „Um Ärzte für Praxen auf dem Land zu gewinnen, ist eine Landarztquote zur Zulassung zum Medizinstudium der falsche Weg! Es ist wichtig, das Leben auf dem Land für die Ärzte und ihre Familien attraktiv zu gestalten, d.h. Infrastruktur, Einkaufsmöglichkeiten etc.“
Fehlende Bereitschaft vorhandener Ärzte, Ihre Tätigkeit vollständig aufzugeben
Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist aber auch der bei den „alten“ Ärzten oftmals fehlende Wille, eine Praxis oder die Tätigkeit als Arzt aufzugeben. In einer Dokumentation des SWR wurde eine junge Ärztin aus Baden-Württemberg über mehrere Monate begleitet. Sie wollte eine Praxis übernehmen, war dann aber damit konfrontiert, dass die scheidenden Ärzte nicht sofort Platz machen wollten. Sogar eine Anstellung als Praxisassistentin wurde ihr angeboten, was sie verständlicherweise, ablehnte:
Es hilft nichts, wenn die scheidenden Ärzte den Weg nicht freimachen und NachfolgerInnen nach 15 Jahren Studium nur als Angestellte, Assistenten oder Juniorpartner einstellen. Ein/e NachfolgerIn möchte zudem normalerweise sofort starten, ein/e Suchende/r möchte erst „in ein paar Jahren“ aufhören. Entsprechend sollten im Idealfall die Beteiligten sich schon ein paar Jahre früher kennenlernen und dann gemeinsam klar kommunizieren und ggf. vertraglich festhalten, zu welchem Zeitpunkt die vollständige Übergabe vollzogen wird.
Was kann man als Gemeinde oder Landkreis tun?
Es gibt viele Unterstützungsangebote für die Gründung. Aber welche sind wichtig? Die meisten vorhandenen Anreize sind rein monetär. Auch wenn diese wichtig sind, so scheint doch der größte Wunsch, der nach Beratung zu sein. Laut den Studierenden im Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018 wären folgende Angebote mindestens wichtig:
- Rechtsberatung (96,7 %)
- Beratung bei Verwaltung und Abrechnung (96,3 %)
- Beratung zu bürokratischen Anforderungen (96,1 %)
- Finanzierungskonzepte (95,6%)
- Finanzielle Anreize (90,1 %)
- Wirtschaftlichkeitsanalyse des Standorts (86,4 %)
- Finanzielle Besserstellung (84,5 %)
- Unterstützung für die Arztfamilie (bspw. Betreuungsangebote, Arbeitsplatzangebote für den Partner) (79,0 %)
Wichtig zu erwähnen ist, dass von den acht abgefragten Items kein einziges von mehr als 21% als unwichtig gesehen wurde. Es scheint also generell einen hohen Bedarf an Beratung zu geben. Dies wird bestätigt, wenn man sich die Aspekte anschaut, die gegen eine Gründung sprechen:
- Hohes Maß an medizinfremden Tätigkeiten und Bürokratie (82,4 %)
- Hohes finanzielles Risiko (77,9%)
- Geringer fachlicher Austausch mit Kollegen (53,4 %)
Ganz im Gegenteil zu den genanten Problemen stellen die Angst, dass durch die Niederlassung keine Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich sei (20,5 %), wenig Freizeit (29,1 %) oder die Festlegung auf einen Ort (21,3 %), nur geringe Hürden dar.
Fazit und eigene Meinung: Gemeinsam Landarzt sein
Warum wollen junge ÄrztInnen nicht aufs Land? Diese Suggestivfrage lässt sich klar entkräften. Es gibt durchaus viele junge ÄrztInnen, die aufs Land wollen. Und es gibt heute so viele Ärztinnen und Ärzte wie noch nie. Und auch heute wollen viele von ihnen eine eigene Praxis führen.
Die Herausforderung ist, dass diese Ärztinnen und Ärzten von Gemeinden und Landkreisen erwarten, dass sie sich aktiv für sie und ihre Probleme einsetzen.
Wir glauben, ein entscheidender Faktor ist die Kommunikation. Und dabei möchten wir helfen. Wir zeigen jungen Ärztinnen und Ärzten nicht nur eine einzelne Praxis. Wir geben einen Überblick darüber, was sie in der Niederlassung erwartet: Wie sieht die Praxis aus, wie die Gemeinde und wie der zugehörige Landkreis. Was machen die Arbeit und das Leben dort erstrebenswert? Gibt es Fördermöglichkeiten? Wie sieht die Freizeitgestaltung aus? Und wer kann mir bei der Niederlassung helfen?
Wir möchten, dass der Erstkontakt zwischen dem/r niedergelassenen Ärzt/in und seinem/seiner NachfolgerIn möglichst nicht im Jahr der Übernahme stattfindet sondern viel früher. Einige Jahre, in denen alle Fragen geklärt werden können. So können alle Beteiligten sich in Ruhe auf den Übergang vorbereiten – ohne, dass eine Partei übervorteilt wird.
Warum wollen junge Ärztinnen und Ärzte nicht aufs Land? Quellen und Verweise
-
- https://www.kbv.de/media/sp/2019-12-31_BAR_Statistik.pdf
- https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/100772/Was-Medizinstudierende-wollen
- https://www.youtube-nocookie.com/embed/zd-w1fI_fgk
- https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Dienstleistungen/Publikationen/Downloads-Dienstleistungen-Kostenstruktur/fb-kostenstruktur-arztpraxen-0020009.pdf?__blob=publicationFile
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/158869/umfrage/anzahl-der-aerzte-in-deutschland-seit-1990/
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